Traditionelle Hochburgen: Chicago, New Orleans, Wien, London, Paris
Die Camarilla ist auch als „der Elfenbeinturm” bekannt, und die Sekte wird diesem Spitznamen gerecht. Die im fünfzehnten Jahrhundert gegründete Camarilla sollte Vampire vor den Säuberungen der Inquisition schützen, die Traditionen Kains aufrechterhalten und das Machtvakuum füllen, das durch den Krieg der Prinzen im Mittelalter entstanden war.
Die Führer der Camarilla setzten die Tradition der Maskerade gnadenlos durch und erhoben sie zum wichtigsten Gesetz der Sekte, eine Priorität, die bis in die heutigen Nächte gilt. Diese sogenannten „Kainskinder“ streben nach einer stillen Harmonie zwischen Vampiren und der Menschheit – ein Ziel, dass der Sabbat unablässig bedroht.
Die Camarilla betrachtet sich als die Vampirgesellschaft schlechthin, und diese Hybris ist nicht komplett unbegründet. Schließlich ist sie die größte Kainskinder-Sekte, und wahrscheinlich gibt es in fast jeder Stadt der Erde Mitglieder der Camarilla. Ein Kainskind, dass eine neue Stadt betritt und nach der dortigen Vampir-Bevölkerung sucht, wird in der Regel einen Hof der Camarilla vorfinden. Diese Verbreitung beruht unter anderem darauf, dass die Camarilla behauptet, die gesamte Vampirgesellschaft unterstünde ihr, ungeachtet dessen, was andere Vampire glauben. Vielen Kainskindern fällt es leichter, im Schatten des Elfenbeinturms zu sitzen, als diese Auffassung infrage zu stellen.
Im Laufe der Jahre versuchte die Sekte, ihren Einfluss auf andere Bereiche des vampirischen Lebens auszudehnen, aber nur mit begrenztem Erfolg. Vampire sind von Natur aus revierbezogene Kreaturen, und es macht einen Riesenunterschied, ob ein Prinz grundsätzlich die Vorstellung mitträgt, dass ein Justicar weltweit entscheidungsbefugt ist oder ob Archonten an den Grenzen der Domäne auftauchen und bedingungslosen Gehorsam verlangen. Ältere Vampire, die sich noch an die Zeit vor der Sekte erinnern können, höhnen über das, was sie als „Anmaßung der Neugeborenen“ bezeichnen. Dennoch brennen in der Erinnerung vieler Ahnen auch auf ewig die Feuer der Inquisition, und viele sind bereit, auf ein paar Rechte zu verzichten, um die Maskerade aufrechtzuerhalten und ihre Sicherheit vor den Sterblichen zu gewährleisten.
Camarilla-Städte sind nicht so kosmopolitisch, wie die Sekte tut. Zwar können Kainskinder ungeachtet ihrer Abstammung in ihnen zu Hause sein, doch die meisten entstammen den Gründerclans der Camarilla: den Brujah, den Gangrel, den Malkavianern, den Nosferatu, den Toreador, den Tremere und den Ventrue. Diese Clans haben geholfen, die Camarilla aus der Taufe zu heben, und beanspruchen je einen Sitz im Inneren Zirkel (s. S. 26). Vampire anderer Blutlinien können an Konklaven und Treffen teilnehmen, werden aber als Minderheiten behandelt oder einfach ignoriert.
Nach der Gründung des Sabbats stellte sich ihm die Camarilla entgegen, weil sie glaubte, nur so die Maskerade und ihre eigenen Kainskinder schützen zu können. Als der Sabbat aufgrund seiner paranoiden Furcht vor Gehenna die Traditionen und jegliche Vorspiegelung von Menschlichkeit über Bord warf, wankte der Elfenbeinturm nicht, sondern erklärte den Sabbat zu Feinden der Sekte. Seither führt die Camarilla abwechselnd einen kalten und einen echten Krieg, Territorien wechseln den Besitzer wie bei zwei Krieg führenden Nationen, und jeder, der nicht an der Seite der Camarilla gegen den Sabbat kämpft, wird möglicherweise als Kollaborateur des Feindes angesehen.
Als Folge dieses ewigen Konflikts mit dem Sabbat zerfällt der Elfenbeinturm in den Nächten der Moderne, verliert ständig hier und da ein paar Backsteine, während er sich selbst stolz für stark und intakt erklärt. Die Ahnen klammern sich an ihre Machtbasen und werden immer paranoider im Umgang miteinander, weil sie befürchten, andere Kainskinder könnten Sabbatinfiltratoren oder Anarchen-Sympathisanten sein.
Neugeborene fühlen sich immer mehr wie Knechte der adligen Ahnen, die von ihnen fordern, eine Organisation zu beschützen und zu erhalten, in der sie kaum auf ein Vorankommen hoffen dürfen, die aber viele Möglichkeiten der Bestrafung für sie birgt. Die Ancillae trifft es dabei am härtesten: Sie sind gefangen unter der Glasdecke der Vorherrschaft der Ahnen, bekommen aber genug Brosamen vom Tisch der Macht, dass die jüngeren Kainskinder eifersüchtig die Messer wetzen.
Die Neugeborenen und jüngeren Ancillae verfügen über einen immer wichtiger werdenden Vorteil – moderne Technik. Nicht wenige Ahnen können oder wollen sich an die neuen Technologien nicht mehr gewöhnen, die die Jungen gemeistert haben – Smartphones, Tablets, Kevlar, leicht transportierbare Waffen, soziale Netzwerke. Sie fallen in einer Welt, in der sogar Kinder wissen, wie man bloggt und in der Medien sich immer stärker fragmentieren, immer weiter zurück.
Einige jüngere Kainskinder machen sich diese Werkzeuge zu Nutze, um mit ihrer Hilfe die Maskerade zu wahren, aber andere fragen sich, warum sie die Herrschaft, die die Ahnen so eifersüchtig behüten, nicht an sich reißen sollten – nicht nur politische Macht, sondern durch den widerwärtigen Akt der Diablerie auch das Blut in ihren Adern. Daher gehen Ahnen immer häufiger gegen Dinge vor, die sie nicht verstehen, und vernichten loyale Diener und verräterische Kinder gleichermaßen.
Den Feinden der Camarilla ist das aufgefallen, und siewarten einfach ab.
Das Herz der Camarilla bilden die Traditionen, und das Herz der Traditionen bildet der Prinz. Ob nominell oder durch tatsächliche Taten, der Prinz setzt in seiner Domäne die Traditionen durch und bestraft die, die sie verletzen. Viele Prinzen halten regelmäßig Hof; dies dient als Mischung aus gesellschaftlichem Anlass und Gerichtsverhandlung.
Bei Hofe klatschen Vampire, machen Politik und wetteifern um die Gunst des Prinzen, und dieser und seine Amtsträger kümmern sich um juristische Angelegenheiten, sprechen Recht oder setzen Richtlinien um.
Ist ein Vampir eines schweren Verbrechens schuldig (etwa eines auffälligen Maskeradebruchs, der Diablerie an einem anderen Kainskind oder der Prinzenbeleidigung), so kann der Prinz die Lextalionis ausrufen – die gefürchtete Blutjagd. Der Prinz ruft die Jagd bei Hofe aus, und die Erstgeborenen geben die Information an ihre Clans weiter. Jeder, der den Aufruf hört, muss an der Blutjagd teilnehmen (auch wenn seine „Teilnahme“ schlicht bedeuten kann, dass er den Jägern nicht im Weg steht). Dann und wann wird eine solche Blutjagd ausgerufen, um das verbrecherische Kainskind in die Verbannung außerhalb der Stadtgrenzen zu treiben, meist aber endet die Jagd erst, wenn der Gejagte den Endgültigen Tod erlitten hat.Manche Prinzen drücken während einer solchen Jagd sogar ein Auge zu, wenn es zum Amaranth kommt.
Aber nicht alle Fragen der Legalität drehen sich um Disziplin und Strafe. Die Währung der Camarilla (und vieler anderer unabhängiger Vampire, die mit ihr zu tun haben) besteht aus einem System von Gefallen und Verpflichtungen. Solche Verpflichtungen (oder „Gefälligkeiten“) erweist man anderen nicht nur bzw. ist sie ihnen schuldig, sondern sie dienen auch zu einem schwunghaften Tauschhandel zwischen den Vampiren, einer Art Schattenwirtschaft.
Den Gefallen, den man dem Erstgeborenen der Brujah schuldet, erweist man am Ende vielleicht einem Ahnen des Clans der Malkavianer, weswegen Vampire immer vorsichtig sind, wem sie Gefälligkeiten schulden. Da die Nichtbeachtung einer Gefälligkeit diese gesamte Schattenwirtschaft ins Wanken bringen kann, reagieren die Harpyien und der Rest der ortsansässigen Vampire enorm heftig auf jedes Anzeichen von Rebellion gegen das System.
Konklaven sind die größten Ereignisse der Camarilla-Politik – zumindest die größten, an denen jeder Vampir teilnehmen kann. Aufgrund logistischer Probleme können nur Justicare Konklaven, die oft Wochen dauern, einberufen, und auch dann nur, wenn es nötig ist. In Anbetracht der freien Zugänglichkeit von Konklaven stellen sie stets Sicherheitsrisiken dar, und manchmal wird der Versammlungsort erst wenige Tage im Voraus bekannt gegeben.
Konklaven werden üblicherweise einberufen, wenn es um mächtige Persönlichkeiten geht, etwa um Prinzen, oder um schwerwiegende Maskeradebrüche. Sind sie jedoch erst einmal einberufen, kann jedes Kainskind vor dem Konklave Anklage erheben und erwarten, Gehör zu finden. Konklaven haben schon ganze Domänen neu geformt: Hier werden Kriege erklärt, Blutjagden ausgerufen und Prinzen höflich aufgefordert, umgehend ihr Amt zur Verfügung zu stellen. Das Konklave legt die sechs Traditionen aus und kann Zusätze machen oder Präzedenzfälle schaffen. Es kann Prinzen Sondervollmachten oder erweiterte Handlungsfreiheiten einräumen, um besonders schwierige Probleme zu bewältigen (etwa einen lokalen Sabbatbefall).
Nicht jedes Konklave, das einberufen wird, ist eine Krisensitzung. Manche Justicare halten einmal jährlich ein Konklave ab, damit alle Kainskinder, die daran teilnehmen, Gelegenheit haben, sich zu treffen und über die Angelegenheiten des vergangenen Jahres zu reden. Dies sind Gelegenheiten für Camarilla-Vampire, ungeklärte Angelegenheiten zu besprechen, die die Sekte insgesamt betreffen, sich mit anderen ihres Standes zu verbrüdern und einfach neue Gesichter und alte Bekannte zu treffen. Doch angesichts der zunehmenden Kühnheit der vielen Feinde der Sekte fürchten zahlreiche Kainskinder, ein Konklave sei eine perfekte Zielscheibe für einen Vergeltungsschlag, und es wird immer deutlicher, dass nur hochstehende Ahnen an ihnen teilnehmen und sich Gehör verschaffen.
Die Welt wirbelt Gehenna entgegen, und diese sogenannten „Kainskinder“ sind beklagenswert unvorbereitet auf die letzten Nächte. Sie werden untergehen und dabei die ganze Zeit ihren Größenwahn in die Welt hinausblöken.
Ich hasse sie nicht, weil sie regieren. Ich hasse sie, weil sie ein Haufen psychotischer, machtgeiler Arschlöcher sind, die sich mit hirnlosen Speicheleckern umgeben, die wiederum hoffen, ein wenig von ihrer politischen Macht abzubekommen, wenn sie ihnen nur tief genug in den Arsch kriechen.
Sie behaupten, über alle Kainskinder zu herrschen? Bei den Römern war das ähnlich, und die Camarilla wird genauso enden wie sie. Ich habe nur Umgang